Mai 2016

Krantourismus

Krane bzw. ihre Teile und die entsprechenden Gegengewichte sind Dauergäste auf unseren Straßen. Das liegt in der Natur der Sache, denn Krane werden in der Regel auf Baustellen benötigt. Baustellen pflegen einen Anfang und ein Ende zu haben.
Ein typisches Zeichen, dass ein Haus bald fertig sein wird, ist der Abbau der Krane. So ist es durchaus sinnvoll, dass wir uns einmal grundlegend mit dem Kranteiltransport anhand dieses prächtigen Beispiels beschäftigen. Wir sehen einen Auflieger mit drei Stapeln von Betongegengewichten (Grund- oder Lagergewichten, wie auch immer man sie bezeichnen möchte) und darauf geladenen Gittermastteilen von einem Turmdrehkran.
Diese Konstellation ist durchaus üblich und in großen Städten täglich mehrfach zu bewundern.

In diesem Fall wurden drei Stapel der von uns als Kontergewichte bezeichneten Betonteile gebildet. Diese wurden vierfach übereinander gestapelt und darauf wurden fein säuberlich die Gittermastteile des Kranes platziert.
Dem geneigten Beobachter entgeht es natürlich nicht, dass aus Gründen der Schonung der oben aufgeladenen Gittermastteile Holzbalken auf die Betonstapel gelegt wurden, damit die Farbe der Kranteile nicht noch mehr leidet. In Teilen ist zu erkennen, dass sogar bohlenformatige Hölzer als Unterlagen genommen wurden, was wir an dieser Stelle sehr positiv herausheben wollen.

Leider gibt es bei dieser Verladung auch eine Ausnahme, denn die auf der Abbildung 3 zu sehende hölzerne Unterlage ist zwar nicht ganz quadratisch, von bohlenformatig kann hier aber keine Rede sein. Besonders bemerkenswert ist, dass das obere Kranteil zumindest auf dieser Fahrzeugseite keine Berührung zur reibungserhöhenden Unterlage hat, was uns sofort aufmerken ließ.

In der Abbildung 4 ist oben gleich neben dem Gurt eine typische bohlenformatige Unterlage zu sehen, was wir sehr begrüßen. Der Gurt ist einmal verdreht, was ihn unserer Meinung nach auf dieser relativ langen Strecke keine Schwächung durch Schnürung bewirkt und ihn sicherlich nicht im Wind flattern lässt. Allerdings müssen wir am Gurt erhebliche Gebrauchsspuren zur Kenntnis nehmen.

Weil wir uns derart über die bohlenformatigen Unterlagen freuen, wollen wir sie hier erneut erwähnen, denn in der Abbildung 5 sind gleich zwei davon zu sehen. Leider wird eine davon nicht von den Kranteilen berührt. Der Gurt, der hier zur Niederzurrung verwendet wird, ist gut ablegereif (siehe Pfeile) und die Reibung auf der Ladefläche gibt uns Rätsel auf.
Beim genaueren Hinsehen scheint die Ladefläche nicht nur nass zu sein, sondern weist zudem noch viele kleine Steinchen auf. Diese Steinchen können wie die Erbsen bei den Heinzelmännchen wirken, dass heißt, sie können die Reibung erheblich reduzieren. Die Ladefläche an sich besteht aus einer Mischung aus Stahl und wahrscheinlich Hartholz, was die Einschätzung, welche Reibung tatsächlich in der Materialpaarung Beton, Holz/Stahl wirkt, weiter erschwert. Ist die Ladefläche verunreinigt, wird in den geltenden Richtlinien empfohlen, µ = 0,2 heranzuziehen. Bei Beton auf Stahl wären die 0,2 wahrscheinlich auch angebracht, aber bei Beton auf Holz, zumindest Weichholz, wären µ = 0,5 durchaus gerechtfertigt.

Leider wissen wir nicht, ob, wie bei Krankontergewichten durchaus üblich, Rungen zur Sicherung der Betonteile eingesetzt wurden. Diese Rungen könnten durch die Stapel hindurch geführt worden sein und in der Ladefläche in entsprechenden Hülsen/Verankerungen ausreichend Halt finden. Eine derartige Sicherung wäre vorbildlich, da speziell auf die Ladung abgestimmt, was wir uns ja immer wünschen.
Wir befürchten aber, dass in diesem Fall keine Rungen zum Einsatz kamen und auch keine reibungserhöhenden Matten, die reibungstechnisch wirksam unter und zwischen die Betonteile gelegt wurden. Bleibt die große Frage, welche Reibung hier sinnvollerweise zum Ansatz kommt.
Da wir den Stahlanteil in der Ladefläche und die leichten Verunreinigungen berücksichtigen müssen, setzen wir zur Sicherheit einen Reibbeiwert von µ = 0,3 an.

Ein besonderes Schmankerl verbirgt sich neben den Betonteilen. Hier liegt ein Stahlteil, das offensichtlich zum Hebe- oder Haltemechanismus des Kranes gehört. Es ist flach, vielleicht 50 oder 100 kg schwer und durch eine Niederzurrung gesichert. Diese Niederzurrung weist einen Winkel weit unter 30° auf. Der Gurt, der hier zur "Sicherung" verwendet wurde, scheint der Ablegereife an mehreren Stellen schon verdächtig nah zu sein.

Beurteilung

Zuerst untersuchen wir die Lastverteilung. Schauen wir uns die Abbildung 1 an, hat man die Betonteile symmetrisch auf der Ladefläche verteilt, um deren Masse auf die Länge des Fahrzeugs zu verteilen. Da es sich um drei Stapel handelt, die schräg auf der Ladefläche stehen und sich dabei in der seitlichen Ansicht knapp überlappen, wird der Gesamtschwerpunkt der Betonteile wahrscheinlich auf dem mittleren Stapel liegen, woran die vergleichsweise geringe Masse der Gittermasten nichts ändern. Dieser Gesamtschwerpunkt scheint ungefähr 1,5 m vor dem ersten Achsaggregat zu liegen, was uns sehr weit vorne erscheint.

Auf der Abbildung 7 ist zu erkennen, dass nach hinten sehr viel Raum gelassen wurde, was unsere Annahme stützt, dass der Schwerpunkt zu weit vorne liegt.

Dass hier Unterleger mit Bohlenformat genommen wurden, erfreut uns auch bei der Gesamtbetrachtung sehr. Was uns überhaupt nicht erfreut, ist die Tatsache, dass ausschließlich niedergezurrt wurde. In der Abbildung 1 sieht es so aus, als ob durchgehend Langhebelratschen zum Einsatz gekommen sind. Deswegen nehmen wir für jede Niederzurrung auf der Zugseite 750 daN und einen K-Wert von 1,8 an, weil nahezu ausschließlich über die leicht gerundeten Kanten der Gittermasten gespannt wurde, was uns bei sechs Zurrgurten zu einer Gesamtvorspannung von immerhin 8.100 daN führt. Dabei haben wir jeglichen Winkel außer Acht gelassen. Die Reibung der Stahlteile auf den Holzunterlegern nehmen wir mit µ= 0,4 an, aber die Reibung zwischen Betonteilen und der sehr heterogenen Ladefläche haben wir vorhin schon mit µ = 0,3 festgelegt. Ergo sind für die Ladungssicherung der Gesamtzuladung die 0,3 von Relevanz.

Die Gesamtmasse der Ladung ist uns nicht bekannt, wir gehen aber von einer ökonomischen Verladeweise aus. Das bedeutet, dass dieses Fahrzeug mindestens 24 Tonnen an Masse transportiert. Bei einer relativ "traurigen" Reibung von nur µ=0,3 sind 12.000 daN an Sicherungskraft aufzuwenden. Mit einer Gesamtvorspannung, die mit 8.100 daN sehr zuvorkommend für den Fahrer und den Verlader angenommen wurde, können bei einer Reibung von µ=0,3 aber ausschließlich 2.430 daN an Sicherungskraft aufgebracht werden. Somit fehlen 9.570 daN an Sicherungskraft.

Gesamtbewertung

Die Sicherung ist schlicht und ergreifend als katastrophal, unsicher und absolut unwirtschaftlich zu bezeichnen. Uns will partout nicht in den Kopf, warum Kranteile fast schon grundsätzlich niedergezurrt werden. Dabei bieten sie durch ihre Konstruktion die allerbesten Möglichkeiten für Direktzurrungen. Ganz nach Belieben bieten sich in jede Richtung, nach vorne, hinten und zur Seite zahlreiche Anschlagmöglichkeiten an, um diese Teile vorbildlich zu sichern. Zudem kann man mit Direktzurrungen sehr wohl auch Niederzurrungseffekte in erheblichem Maße erreichen. Man kann also das eine tun, ohne das andere zu lassen.

Bei der Verwendung von RH-Matten zwischen den Betonteilen (falls diese nicht formschlüssig ineinander greifen) und vor allen Dingen darunter sowie unter den Stahlteilen kann mit Direktzurrungen, die einen hohen Teil an Niederzurrungen haben, eine perfekte Sicherung aller Teile erreicht werden. Bei einer Reibung von 0,6 (RH-Material in entsprechender Stärke und für Schwerlasteinsätze geeignet) bleiben bei einer Gesamtzuladung von 24.000 Tonnen gerade mal noch 4.800 daN zur Sicherung übrig. Hierfür muss eine Gesamtvorspannung von 8.000 daN bei einer Reibung von 0,6 aufgebracht werden, was wir vorhin schon mit etwas guten Willen "hingerechnet" haben. Da wir bei Direktzurrungen auf jeder Seite und für jedes Teil mindestens vier Direktzurrungen verwenden müssen, wäre es überhaupt kein Problem, diese Vorspannung tatsächlich aufzubringen.

An dieser Stelle sei noch einmal ein Rückbick zur Abbildung 6 erlaubt. Es liegt offensichtlich in der Natur des Menschen, dass er sich gerne um die großen schweren Teile kümmert und den kleinen Teilen, wie in Abbildung 6 zu sehen, zu wenig Bedeutung beimisst.
Löst sich solch ein lausig gesichertes Stahlteil von 50 oder 100 kg von der Ladefläche, wird es zum tödlichen Geschoss. Wir können eine derartige Sicherung nur als tödlichen Leichtsinn bezeichnen.

Die Ladungssicherungskolumnisten wünschen allzeit eine ladungssichere Fahrt!

© KLSK e.V.