Dezember 2014

Stille Reserven

Diesen Monat wollen wir, was selten genug in dieser Kolumne ist, die vorgenommene Ladungssicherung loben und stille Reserven der Niederzurrungen entdecken. Bevor Sie sich als geneigter Leser dieser Kolumne darüber entrüsten, dass man ja nun die Ladungssicherung auf gar keinen Fall für derartige Unfallereignisse dimensionieren muss, wollen wir Sie gleich zu Anfang beruhigen. Dieses Unfallereignis ist nur der Anlass für unsere lobenden Ausführungen und detailliertes Nachschauen, wo denn nun stille Reserven zu finden sind. Richtig ist natürlich, dass die Ladungssicherung ausschließlich die in den bekannten Richtlinien genannten Beschleunigungen von 0,8 nach vorne, 0,5 zu den Seiten und 0,5 g nach hinten meistern muss.

 

Es gibt immer wieder Zeitgenossen (selbst wir sind nicht ganz frei davon), die mit der Niederzurrung zumeist hart ins Gericht gehen. Sie ist zwar einfach anzubringen, aber die ganze Wirkung beruht auf der Kraft, die mit menschlicher Muskulatur in die Vorspanneinrichtung eingebracht wurde. Nicht mehr und nicht weniger möchte man meinen. Das stimmt, wenn man die einschlägigen Richtlinien in ihrer besonderen und nüchternen Art liest. Aber sobald man ein wenig über die Zusammenhänge nachdenkt, kommen einem nicht nur Zweifel, sondern die Gewissheit, dass sich hinter einer Niederzurrung weit mehr versteckt als ausschließlich die Sicherungswirkung durch die Vorspannung.

 

Nicht das der Eindruck entstünde, dass wir die Vorspannung bei einer Niederzurrung nicht für sinnvoll und wichtig erachten. Nein, ganz im Gegenteil, sie ist selbstverständlich ein essentieller Teil der Niederzurrung und auch ein Teil der Voraussetzung für ihr richtiges Wirken. In der Abbildung 2 kann man erahnen, welche Beschleunigungen auf das Fahrzeug gewirkt haben müssen. Wir wollen nicht mutmaßen, wie viel g es wohl gewesen sein mögen - Fakt ist, dass der 0,8 g-Wert, für den die Ladungssicherung normalerweise gedacht ist, sicher um ein vielfaches überschritten wurde. Was ebenfalls in der Abbildung 2 sehr gut zu sehen ist, sind die schräg gestellten Gurte.

 

Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich bei der Ladung um eine Komplettladung Gasbetonsteine bzw. Bauelemente. Die Masse der Ladung wurde leider nicht überliefert und die Frage, warum dieser Unfall passiert ist, soll nicht Gegenstand dieses Fotos des Monats sein. Wir wollen uns einfach der Niederzurrung widmen.

Jedes Ladungspaket war mit zwei Niederzurrungen gesichert. Soweit das auf den Bildern zu erkennen ist, handelt es sich um Langhebelratschen. Trotz des Unfallgeschehens ist bei sehr vielen Gurten noch zu erkennen, dass die Ladung durch unterschiedliche Maßnahmen vor den Gurten geschützt wurde. Als nahezu bilderbuchmäßig ist die Ordnung auf der Ladefläche zu beurteilen. Alle losen Enden der Gurten wurden fein säuberlich aufgerollt und mit Kabelbindern am Fahrzeug oder am Ladungssicherungsmittel selbst befestigt.

Was ist passiert? Nachdem das Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen ist und sich im Graben ins Erdreich "gebohrt" hat, muss auf die Ladung eine erhebliche Beschleunigung in Längsrichtung gewirkt haben. Die Ladung ist verrutscht und die Gurte sind mit der Ladung nach vorne gerutscht. Im vorderen Bereich sind Schrägstellungen von 20 ° und im hinteren Bereich bis zu 33 ° zu messen. Während des Verrutschens hat sich die Vorspannung massiv erhöht. Gut zu sehen ist dies beim fünften Gurt, gezählt von vorne, oben auf der Ladung selbst. Hier ist die Vorspannung des Gurtes derart groß geworden, dass sich dieser nach Verlust des Kantengleiters (vielleicht war auch keiner vorhanden) richtig in den Gasbeton eingearbeitet hat.

Zusätzlich zu dieser massiven Erhöhung der Vorspannung, die die Gurte bis an ihre LC-Grenze und sogar etwas darüber hinaus belasten kann, kommt noch ein weiterer Effekt, und zwar der Direktzurrungseffekt. Das mag im ersten Moment widersprüchlich klingen, ist aber im Endeffekt logisch. Dieser Direktsicherungseffekt kommt dadurch zustande, dass die Gurte eine erhebliche Reibung auf der Ladung selbst haben. Diese Reibung hat dafür gesorgt, dass die Gurte im vorderen Teil des Fahrzeugs bis zu einer Schrägstellung von 20 ° und im hinteren Teil des Fahrzeugs bis zu einer Schrägstellung von 33 ° mit der Ladung mitgerutscht sind. Dass sie dabei teilweise auch schon über der Ladung gerutscht sind bzw. die Ladung unter den Gurten durchgerutscht ist, ist unschwer an den Gurten zu erkennen, die von der Ladung ganz abgerutscht sind. Aber die Gurte, die noch auf der Ladung liegen, sind immens vorgespannt und haben noch ihre hohe Reibung mit der Ladung.

Die Reibung des Ladungssicherungsmittels auf der Ladung wirkt wie ein Befestigungspunkt. Dadurch entsteht eine Art Direktzurrung. Mit diesem "Befestigungspunkt" rutscht der Gurt nun im Belastungsfall nach vorne. Mit jedem Zentimeter, den der Gut mit nach vorne rutscht, steht er schräger, verglichen mit seiner ursprünglich senkrechten Position. Mit jedem Grad mehr Schrägstellung bekommt diese Niederzurrung eine höhere Direktzurrungswirkung. Nur in diesem besonderen Fall kommt noch hinzu, dass sich Gurte teilweise richtig in die Ladung eingearbeitet haben und dann tatsächlich wie Direktzurrungen wirken konnten. Es muss wohl eher dem Zufall zugerechnet werden, dass der vierte Gurt von vorne von seinem Ladungsblock abgerutscht ist und sich jetzt augenscheinlich am dritten Ladungsblock ebenfalls als Direktzurrung verdingt.

 

Die Tatsache, dass der Fahrer das Fahrzeug lebend verlassen konnte, hat dieser wahrscheinlich nicht nur der Direktzurrungswirkung und der drastischen Zunahme der Niederzurrwirkung durch die Erhöhung der Vorspannung zu verdanken, sondern auch dem Umstand, dass unseren Informationen zufolge auf diesem Fahrzeug noch Querungen gesetzt waren. Wahrscheinlich befinden sich diese Rungen im Bereich der auf der Ladefläche befindlichen Querhölzer. Diese Querhölzer sind entweder mit der Ladefläche verbunden oder sie liegen vor den angesprochenen Rungen und haben damit dazu beigetragen, dass die Ladung im hinteren Teil des Fahrzeugs nicht auch noch in Gänze gegen die Stirnwand drücken konnte.

Richtig ist, dass diese Direktzurrungswirkung nicht nur bei derart hohen Reibungen auftritt und eine Wirkung entfaltet, sondern schon im Bereich von Gurtschrägstellungen von 1 ° bis 3 °. Im ersten Moment mag es sonderbar klingen, die Niederzurrungen in Verbindung mit Ladungsbewegung zu bringen - ist sie doch dafür gemacht, dass die Ladung sich nicht bewegen soll. Fakt ist aber, dass sich nahezu alle Ladung auf der Ladefläche oder zumindest in sich bewegt, wenn auch nur wenige Millimeter. Diese Ladungsbewegungen sind auch vollkommen unschädlich und werden z. B. bei der Direktsicherung billigend in Kauf genommen. Die Bewegungen der Ladungen, die für die Wirkung einer Direktsicherung erforderlich sind (oftmals zweistellige Zentimeterlängen), werden noch nicht einmal in irgendwelchen Richtlinien erwähnt, geschweige denn rechnerisch berücksichtigt. So muss es also mehr als recht und billig sein, der Niederzurrung ebenfalls einen kleinen Bewegungsspielraum einzuräumen.

Diese Bild des Monats zeigt, welche ggf. lebensrettende Bedeutung in dieser Direktzurrungswirkung steckt.

Um jeglicher Missdeutung den Wind aus den Segeln zu nehmen, wollen wir an dieser Stelle unterstreichen, dass unser kleiner Ausflug in die Reserven der Niederzurrung keines Falls als Aufruf zum Schludern bzw. zur Missachtung der gültigen Normen und Richtlinien zu verstehen ist. Ganz im Gegenteil! Aber ein wenig Auseinandersetzung mit der Reibung der Ladungssicherungsmittel auf der Ladung kann den Horizont ein wenig erweitern und trägt zum Verständnis der sehr komplexen Vorgänge bei der Ladungssicherung bei.

 

Die Ladungssicherungskolumnisten wünschen ein gesegnetes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch ins Neue Jahr und ein ladungssicheres und gesundes Jahr 2015.

© KLSK e.V.