März 2010

Das blaue Wunder

Begibt man sich als Polizeibeamter auf deutsche Straßen und kontrolliert Gefahrgutfahrzeuge, kommt es häufiger vor, dass einem das blaue Wunder begegnet. Mit diesem blauen Wunder sind die meist blauen Kunststoffgebinde wie Fässer und Kannen aller Größen und Formen gemeint, die alle fein säuberlich ihre Gefahrgutverpackungsprüfung bestanden haben, um dann auf Europas Straßen transportiert zu werden. Bei allen Vorteilen, die diese Gebinde mit sich bringen, lassen sie Verlader, Fahrer und auch kontrollierende Organe nahezu verzweifeln. Denn obwohl man sich alle Mühe der Welt gibt, fällt es mehr als schwer, diese flexiblen Wunderteile zu einer stabilen Ladeeinheit zusammenzufassen oder sogar wirkungsvoll zu sichern.

Irgendwo soll sogar geschrieben stehen, dass sich insbesondere Gefahrgutladung während eines Transportes mit einem Straßenfahrzeug gar nicht bewegen dürfte. Wird man der folgenden Bilder ansichtig, legt sich die Stirn des geneigten Ladungssicherungskolumnisten in Falten, schaut man doch in einen ladungssicherungstechnischen Abgrund.

Ohne Zweifel hat sich hier ein Absender intensive Gedanken gemacht. Die Fässer wurden paarweise auf Europaletten gestellt, mit Kantenschützern versehen, mit Bändern (wahrscheinlich Kunststoff über deren Stärke leider nichts überliefert ist) auf der Palette niedergezurrt und gebündelt. Um alles zu einer wie auch immer gearteten Ladeeinheit zusammenzufassen, wurde noch kräftig mit Stretchfolie umwickelt und ggf. (das kann nicht abschließend bewertet werden) auch noch mit einer Kunststoffhaube überzogen. Diese arbeitsintensiven Ladeeinheiten wurden jetzt auf die Reise geschickt. Bevor es aber losging, hat der Fahrer, gewissenhaft wie er ist, die Ladung noch gesichert. Bei der offensichtlichen Flexibilität, die die Ladeeinheiten an den Tag legten, benutzte der Fahrer seine Einstecklatten, um die Last, die den Ecken der Ladeeinheiten von den Gurten aufgebürdet wird, zu verteilen. Ein durchaus lobenswerter Ansatz. Nun fragt man sich, ob man dem Fahrer in diesem Fall wirklich etwas vorwerfen kann. Die Ladeeinheiten, davon konnte er bei einer durchaus martialisch anmutenden Sicherung mit Bändern, Kantenschutz und jeder Menge Wickelfolie ausgehen, waren stabil oder muteten so an. Und die Paletten berührten sich untereinander, seitwärts und nach vorne. Ladebordwände waren vorhanden, die Beladung also formschlüssig zur Seite und nach vorne, und als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme kam die Niederzurrung. Also, Ladebordwände zu, Vorhang auch davor und ruhigen Gewissens auf die Reise.

Was genau sich während der Fahrt ereignet hatte, ist nicht überliefert. Fakt ist, dass es eine oder gleich mehrere Beschleunigungen in Längsrichtung gegeben haben muss. Ein Unfallgeschehen lag nicht vor, Leckagen auch nicht, und soweit der Fahrer zu Protokoll gab, waren keine Notfallbremsungen auf seiner Reise vorgekommen. Besieht man sich nun die Abbildung 1, ist unschwer zu erkennen, dass sich die Ladung von der Palette ca. 40 cm, vielleicht sogar 50, nach vorne bewegt hat. Die horizontale Bebänderung der Fässer hat gehalten. Selbst die vertikale Bebänderung zeigt jetzt in einem Winkel ca. 75-80°, dass sie den Anforderungen Herr geworden ist. Auch die Wickelfolie hat gehalten.

Ihrer eigentlichen Grundaufgabe, die Ladeeinheit so zu bilden, dass einzelne Ladungsteile selbige nicht verlassen können, konnte sie aber nicht leisten. Selbst ohne Notbremsung ist es den Fässern gelungen, ihre Palette zu verlassen. An der Endladestelle werden diese blauen Wunder das Ladepersonal vor erhebliche Herausforderungen stellen.

Gut zu sehen sind die Ladelücken zwischen den einzelnen Ladeeinheiten, und zwar seitwärts wie in Längsrichtung. Formschluss bestand ausschließlich zwischen Palette und Palette. Wäre die Ladeeinheit an sich tatsächlich stabil gewesen, hätte man diese formschlüssige Art der Verladung sicherlich als sicher durchgehen lassen können. Leider haben wir auf Abbildung 1 schon gesehen, dass sich die Ladung doch erheblich von den Paletten entfernt hatte.

Noch ein Wort zur Niederzurrung. Können derartige Ladeeinheiten überhaupt wirkungsvoll niedergezurrt werden? Die Antwort ist ein ganz klares "Jein" und muss mehrteilig erfolgen.

In der vorliegenden Form sicher nicht.
Auch ist eine aufgelegte Latte am Ladungsrand nicht sehr viel mehr als Makulatur, denn während der Fahrt rutscht die Latte nach innen, und der Gurt schneidet in die Ladung oder zwischen die Ladung bzw. Verpackung ein. Die Vorspannung geht verloren und somit hat der Gurt auch nicht mehr die Wirkung, die er ursprünglich haben sollte. Ggf. verliert er seine Vorspannung komplett und hat auch keine Wirkung mehr.
Wir erinnern uns, dass die Niederzurrung eine reine Reibsicherung ist. Die Reibung zwischen blauen Kunststofffässern und einer Palette wird vorsichtig geschätzt zwischen 10 und 20% liegen. Bei der Verwendung von reibungserhöhenden Mitteln könnte dieser schwierige Umstand behoben werden.
Die vorliegenden Ladeeinheiten liefern die Ladelücken gleich mit. Insofern ist bei derartigen Ladeeinheiten eine wirkungsvolle Niederzurrung aussichtslos und somit hinfällig.

Wie kann man derartige Ladungen wirkungsvoll sichern?

Handelt es sich um Komplettladung von "blauen Wundern", kann man diese einzeln auf die Ladefläche stauen, wenn der Einfüllstutzen nicht im Wege ist, mit Platten oder Paletten überdecken, um sie dann niederzuzurren. Der geneigte Leser unserer Kolumne wird zu recht einwenden, dass insbesondere die mittleren Fässer von der Niederzurrung überhaupt nicht beaufschlagt werden und sich bei einer Bremsung auch nach oben herausdrücken können. Richtig! Diesem Umstand kann nur dadurch begegnet werden, indem in der Mitte mehrere Paletten übereinander aufgelegt werden, um auch hier durch die Niederzurrung einen Druck zu erzeugen.

Nichtsdestotrotz haben Versuche gezeigt, dass Kunststoffkannen und -fässer, die derart flexibel sind, unmöglich als Komplettladungen auf Aufliegern transportiert und gesichert werden können. Es bedarf hier immer einer Sektionierung. Diese ist von Größe, Flexibilität und Form der Fässer und Kannen abhängig.

Die Abbildung 3 zeigt nochmals sehr eindrucksvoll, wie weit sich die Fässer auf den Paletten bewegt haben und wie groß die Ladelücken zwischen den einzelnen Fässern sind. Zweifelsfrei bleibt festzustellen, dass diese Ladung sich deutlich zu weit bewegt hat und eine vernünftige Ladeeinheit hier nicht entstanden ist. Ob der Fahrer mangelhafte Ladeeinheitenbildung hätte erkennen müssen, lassen wir hier dahingestellt. Wenn er sie erkannt hätte, wäre seine Aufgabe ungleich schwerer gewesen, denn er hätte dem Verlader eine Unterrichtseinheit in der Bildung von Ladeeinheiten erteilen müssen, welches dieser ihm sicherlich mit einem Verweis von seinem Gelände ohne Ladung gedankt hätte.

Nun gehört es in das Reich der Fabel, dass sich Ladung nicht bewegt oder sogar so gesichert wird, dass sie sich nicht bewegen kann. Ladung bewegt sich immer! In sich, in der Ladeeinheit, unter dem Ladungssicherungsmittel und im Ladungssicherungsmittel. Die Frage ist nur, wie weit, mit welcher Geschwindigkeit, und wie wird sie während dieser Bewegung an derselbigen gehindert. Hätten sich die Fässer nur zwei oder fünf Zentimeter bewegt, wäre alles in bester Ordnung gewesen. Stellt sich nur noch die Frage, wie eine Ladeeinheit aussehen muss, damit sie auch den Anforderungen der Ladungssicherung und den geltenden Richtlinien standhalten kann. Das heißt dann nämlich eine Beschleunigung von 0,8 g in Längsrichtung und dann kann man ggf. sein blaues Wunder erleben, insbesondere dann, wenn man die Ladefläche nicht konsequent sektioniert hat.

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